Die Bücherverbrennungen 1933. Hintergründe, Betroffene und Phasen

Von Werner Treß

Die Bücherverbrennungen des Jahres 1933 markieren ein Fanal, mit dem die Zerstörung einer ganzen Blüteepoche in Wissenschaft und Kultur durch die Nationalsozialisten vollzogen wurde. Mit den Büchern gingen auch die Hoffnungen und Errungenschaften einer der Freiheitsidee verpflichteten und sich als demokratisch und vielfältig verstehenden Gesellschaft, wie sie vom Geist der Paulskirchenverfassung 1849 getragen und mit der Novemberrevolution des Jahres 1918 endlich auf den Weg gebracht worden waren, in Flammen auf. Vor dem Auge der Weltöffentlichkeit und unübersehbar für die deutsche Bevölkerung offenbarten die Nationalsozialisten im Feuerschein zentraler Straßen und Plätze den Geist der Vernichtung, der ihrer politischen Weltanschauung innewohnte. Ein Geist, der in den Folgejahren weite Teile Europas in Asche legen, Millionen Menschenleben fordern und in der Ermordung der europäischen Juden seine schrecklichsten Ausmaße erreichten sollte.

Allein in den Abendstunden des 10. Mai 1933 brannten in 22 deutschen Hochschulstädten die Scheiterhaufen. Unter lärmenden Schmährufen warfen Studenten in SA- und SS-Uniformen die Werke von Kurt Tucholsky, Heinrich Mann, Anna Seghers und zahlreichen weiteren Schriftstellern, Publizisten und Wissenschaftlern in die Flammen. Von über 400 Autorinnen und Autoren lässt sich heute nachweisen, dass ihre Werke von den Bücherverbrennungen 1933 betroffen waren.

Die Aktion „Wider den undeutschen Geist“

Die Bücherverbrennungen des Mai 1933 sind heute, 90 Jahre danach, in der kollektiven Erinnerung am präsentesten geblieben. Sie bildeten den Höhenpunkt der reichsweiten Aktion „Wider den undeutschen Geist“. Dabei handelte es sich um eine vierwöchige, generalstabsmäßig geplante und durchgeführte Kampagne mit dem Ziel der Vertreibung der deutsch-jüdischen und kritischen Intelligenz vor allem aus den Universitäten.

Am 13. April 1933 lief sie an: An allen Hochschulorten des Reiches wurde das Plakat „Wider den undeutschen Geist“ aufgehängt. Darauf in roten Lettern die Positionen und Ziele: „Sprache und Schrifttum wurzeln im Volke“ lautete die erste der insgesamt 12 Thesen. Durch die vierte These: „Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm hörig ist“ wurde das antisemitische Leitmotiv herausgestellt. Mit der zwölften These wurde das wichtigste Ziel neben der „Säuberung der Bibliotheken“, nämlich die Vertreibung der deutsch-jüdischen und NS-kritischen Intelligenz an den Hochschulen benannt: „Wir fordern die Auslese der Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste.“

Am 19. April wurde die Aktion sogar noch verschärft: Die organisierte Studentenschaft rief zum Boykott jüdischer und andersdenkender Lehrbeauftragter auf. Dozenten, „die Juden sind oder kommunistischen Organisationen bzw. dem Reichsbanner u.ä. angehört haben“ sollten denunziert werden. Die öffentliche Hetzjagd ging so weit, dass an den Hochschulen in Königsberg, Rostock, Münster und Dresden zwei Meter hohe „Schandpfähle“ errichtet wurden, an die man die Namen der betroffenen Professoren und verfemte Bücher mit Nägeln anschlug.

Parallel zum studentischen Boykott verfügte der preußische Kultusminister Bernhard Rust die Entlassung zahlreicher Professoren. Nobelpreisträger und Wissenschaftler von Weltruf wie Fritz Haber, James Franck, Max Born oder Emmy Noether wurden entlassen oder legten aus Protest ihre Lehrämter nieder. Rust begründete seinen Kahlschlag damit, studentischen Ausschreitungen an den Hochschulen vorbeugen zu wollen. Tatsächlich gewährte er den NS-Studenten einen ‚Freifahrtschein’: Waren sie vor 1933 mitunter noch für ihre gewalttätigen Kampagnen etwa gegen den Heidelberger Mathematikprofessor und kritischen Publizisten Emil Julius Gumbel disziplinarisch in die Schranken gewiesen worden, so wurden solche Strafen am 19. April 1933 per ‚Amnestierlass’ kassiert. Auf diese Weise griffen die Gesetze und Erlasse der NS-Regierung und der politische Terror der Studenten wie Zahnräder ineinander, was die Machtdurchsetzung des Nationalsozialismus in den bis dahin traditionell konservativ geprägten Hochschulen beschleunigte.

Anfang Mai 1933 setzte reichsweit die Sammelaktion der zur Verbrennung bestimmten Bücher ein. Die Reichsführung der „Deutschen Studentenschaft“ hatte festgelegt, dass im Vorfeld der Bücherverbrennungen die Bestände in Stadt- und Volksbüchereien, privaten Leihbüchereien, Buchhandlungen und Privatbibliotheken durchsucht werden sollten. Ausdrücklich ausgenommen wurden die Staats- und Universitätsbibliotheken, obgleich die Studentenschaften zum Beispiel in Kiel und Braunschweig sich nicht daran hielten.

Die verbrannten Bücher

Welche Bücher sollten jedoch verbrannt werden? Mit dieser Frage waren die studentischen Akteure überfordert und holten sich den sachverständigen Rat eines ihrer Bündnispartner ein. Aus den Reihen des „Verbandes Deutscher Volksbibliothekare“ wurde Anfang April 1933 ein „Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien“ gebildet. Die Federführung im Ausschuss übernahm Wolfgang Herrmann. Gemeinsam mit den Berliner Stadtbibliothekaren Max Wieser und Hans Engelhard erstellte Herrmann zunächst ein 9 Punkte Papier mit dem Titel „Grundsätzliches zur Anfertigung von Schwarzen Listen“. Darin wurde festgelegt, dass die Kriterien der Schwarzen Listen „literaturpolitischer Natur“ sein sollten. Es gelte „die fundamentale, für jede politische Entscheidung notwendige Vorfrage: Wer ist der eigentliche Feind? Gegen wen richtet sich der Kampf?“ Im Wesentlichen richteten sich die Schwarzen Listen gegen folgende Literaturrichtungen: 1. Bücher von Autoren jüdischer Herkunft (z.B. Joseph Roth, Schalom Asch, Jakob Wassermann, Lion Feuchtwanger); 2. marxistische Schriftsteller und Theoretiker (z.B. Anna Seghers, Ernst Toller, Karl Grünberg, Rosa Luxemburg, Karl Korsch, Georg Lukacs oder Fritz Sternberg), hierzu zählten auch sowjetische Autoren wie Maxim Gorki, Alexandra Kollontai, Sergei Tretjakow oder Lenin, Leo Trotzki, Anatoli Lunatscharski; 3. pazifistische Autoren, die sich gegen Krieg engagierten oder die Heroisierung des Ersten Weltkrieges anzweifelten (z. B. Bertha von Suttner, Ludwig Quidde, Friedrich Wilhelm Förster, Adrienne Thomas, Erich Maria Remarque); 4. so genannte Autoren der Großstadt, die von den Nazis als „Asphaltliteraten“ diffamiert wurden (z.B. John Dos Passos und Alfred Döblin); 5. moderne französische und amerikanische Autoren (z.B. André Gide, Henri Barbusse, Ernest Hemingway, Upton Sinclair, Jack London), 6. Feministinnen und Autorinnen, deren Werke das traditionelle weibliche Rollenverständnis in Frage stellten (z.B. Hilde Lion, Anna Blos, Louise Schroeder, Irmgard Keun, Christa Anita Brück, Gina Kaus); 7. kritische Publizisten und Journalisten wie Theodor Wolff, Georg Bernhard, Carl von Ossietzky); 8. progressive Wissenschaftler wie Sigmund Freud, Magnus Hirschfeld, Paul Tillich; Sozialdemokraten und Gewerkschafter wie August Bebel, Ferdinand Lassalle, Gustav Radbruch, Fritz Naphtali, Siegfried Aufhäuser, Otto Suhr; 10. Vertreter des politischen Liberalismus wie Hugo Preuß, Walther Rathenau, Theodor Heuss. Schwerer einordnen lassen sich Autoren wie Waldemar Bonsels, der bis heute für seine „Biene Maja“ geschätzt wird, von den Nazis hingegen wegen seines Werkes „Menschenwege. Aus den Notizen eines Vagabunden“ verfemt wurde.

Liest man jenseits der Schwarzen Listen die Zeitungsberichte von den mittlerweile weit über 150 nachweisbaren Bücherverbrennungen, die 1933 deutschlandweit stattfanden, so findet sich einiges Überraschendes. In Düsseldorf, der Geburtsstadt Heinrich Heines, verbrannte die Hitler-Jugend bereits am 11. April 1933 dessen Gedichtband „Romanzero“. In Berlin, so berichtete der „Würzburger Generalanzeiger“ am 6. Mai 1933, brannten seit Tagen auf den Schulhöfen die Scheiterhaufen: „Bei der Sichtung der Schulbibliotheken wurde u.a. festgestellt, dass die berüchtigte Karl-Marx-Schule in Neukölln 18 Exemplare von Boccaccios Decameron (!!) in ihrer Schulbibliothek hatte, die bei ihrer Entfernung sehr reichen Gebrauch zeigten.“ Und in Offenbach am Main verbrannte am 17. Juni 1933 der „Kampfbundes für deutsche Kultur“ die „Relativitätstheorie“ von Albert Einstein. Weder Heine, noch Boccaccio oder Albert Einstein standen auf den Schwarzen Listen von Wolfgang Herrmann. Dennoch wurden ihre Werke 1933 verbrannt.

So waren die Schwarzen Listen für die studentischen Stoßtrupps nur eine grobe Richtschnur, als sie im Vorfeld des 10. Mai 1933 deutschlandweit Buchhandlungen und Leihbüchereien heimgesuchten und ihrer wertvollen Buchbestände beraubten. Die öffentlichen Stadt- und Volksbüchereien wurden dazu angehalten, ihre Bestände selbst zu „säubern“ und die ausgesonderten Bücher den Studentenschaften zur Verbrennung zu übergeben.

Das ganze Ausmaß der Brutalität der Büchersammelaktion wurde am 6. Mai in Berlin sichtbar, als Studenten der „Hochschule für Leibesübungen“ das vom deutsch-jüdischen Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld gegründete „Institut für Sexualwissenschaft“ stürmten und ausplünderten. Das weltweit einzigartige Archiv und die über zehntausend Bände umfassende Bibliothek aus Hirschfelds Institut wurde vier Tage später zu einem Großteil auf dem Berliner Opernplatz verbrannt.

Die Akteure

Entgegen der lange verbreiteten These, Joseph Goebbels wäre der Urheber der Bücherverbrennungen gewesen, sind sich die Historiker sich inzwischen darüber einig, dass die „Deutsche Studentenschaft“ als Dachverband der damals bereits vom NS-Studentenbund dominierten Einzelstudentenschaften die Gesamtaktion gleichsam im Alleingang durchgeführt hätte. Diese These hat bis heute Gültigkeit, muss in ihrer Absolutheit jedoch ebenfalls korrigiert werden. Die Reichsführung der „Deutschen Studentenschaft“ war nämlich weder Willens noch in der Lage eine derart umfassende Kampagne alleine zu organisieren. Von Anfang an wurde auf die Mithilfe staatlicher Institutionen und vor allem der NS-Parteiorganisationen gesetzt. Und die kam auch: vom Preußischem Kultusministerium, vom Reichspropagandaministerium, von den Polizeibehörden, von der SA, SS, HJ, den Burschenschaften, vom „Kampfbund für deutsche Kultur“, von Volksbibliothekaren und von Professoren mit NSDAP-Parteibuch oder Ambitionen darauf. Nur vor dem Hintergrund dieses Netzwerkes ist die Schlagkraft der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ und das deutschlandweite Ausmaß der Bücherverbrennungen erklärbar. Betrachtet man die Akteure der zahlreichen Bücherverbrennungen nach dem Mai 1933, so geraten weitere Verbände und Organisationen wie die Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisationen (NSBO), der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (DHV) und in einigen Orten auch kirchliche Jugendbünde in den Blick. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der aktive Part der Bücherverbrennungen von Vertretern der jungen „Generation des Unbedingen“ (Michel Wildt) getragen wurde. Die Scheiterhaufen umringten Angehörige jener Geburtenjahrgänge, die wenige Jahre später begeistert für das NS-Regime in seine Angriffskriege zogen. Einige von ihnen, darunter Karl Gengenbach (Organisator der Bücherverbrennung in München), Gustav Adolf Scheel (Organisator der Bücherverbrennung in Heidelberg) oder Martin Sandberger (Leiter des Kampfausschusses „Wider den undeutschen Geist“ in Tübingen) machten steile Karrieren in der SS sowie im Reichssicherheitshauptamt und wurden veritable Kriegsverbrecher und Massenmörder.

Phasen der Bücherverbrennungen

Für den Zeitraum von März bis November 1933 lassen sich drei Phasen von Bücherverbrennungen unterschieden. Zusätzlich zu den studentischen Bücherverbrennungen der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ lassen sich dabei weitere ortübergreifende Bücherverbrennungsaktionen feststellen, die hauptsächlich von der Hitlerjugend durchgeführt wurden.

Bei der ersten Phase (März-April 1933) handelte es sich überweigend um Bücher-, Zeitungs- und Fahnenverbrennungen, die im Kontext des politischen Terrors und der Erstürmungen von sozialdemokratischen Partei- und Verlagshäusern durch die SA und SS einzuordnen sind. Nach dem Sieg der Regierung Hitler bei den nicht mehr unter rechtstaatlichen Bedingungen abgehaltenen Reichstagswahlen am 5. März 1933 ging die NSDAP systematisch und flächendeckend dazu über, die noch verbliebene politische Opposition in Deutschland zu zerschlagen. Gezielt wurde vor allem der SPD, der KPD und den Gewerkschaften die organisatorische Basis genommen, indem die SA und SS deren Partei-, Verlags- und Gewerkschaftsgebäude angriff und besetzte. Auf äußerst brutale Weise wurden dabei Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Kommunisten verhaftet, zusammengeschlagen, gefoltert und ermordet. Die Inneneinrichtungen der besetzten Gebäude, die häufig über wertvolle Zeitungs- und Buchdruckereien verfügten, wurden verwüstet oder vollständig zerstört. Insbesondere in den sozialdemokratischen Partei- und Verlagshäusern waren neben den Hausbibliotheken in den Erdgeschossen häufig auch Buchhandlungen untergebracht. Deren Buchbestände wurden von der SA und SS entweder geraubt oder noch im Zuge der Besetzungsaktion auf die Straße geworfen und verbrannt. Es handelte sich also eher um spontane Bücherverbrennungen, die nicht eigens als solche geplant waren, sondern als Begleiterscheinung der Besetzungsaktionen auftraten und bei denen meistens auch Fahnen, Parteisymbole, Flugblätter, Akten oder Möbel aus den geplünderten Gebäuden mit verbrannt wurden. Eine spezifizierte Anfeindung bestimmter Buchtitel oder Autoren stand hierbei noch nicht im Vordergrund. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass die von den Stoßtrupps der SA und SS bei den Besetzungen der Partei-, Verlags- und Gewerkschaftsgebäude vorgefundenen Buchbestände summarisch der politischen Richtung ihrer Besitzer zugeschrieben und als solche verbrannt wurden. Als ein typisches Fallbeispiel dieser ersten Phase kann die Bücherverbrennung bei der Erstürmung des Braunschweiger Volksfreundhauses am 9. März 1933 gelten. Ein besonderes Beispiel stellt demgegenüber die Verbrennung von Büchern auf dem Laubenheimer Platz in Berlin am 15. März 1933 dar, die im Rahmen einer großangelegten Verhaftungsaktion bei der Erstürmung einer Künstlerkolonie in Berlin-Wilmersdorf durch die SA und Bereitschaftspolizei stattfand. Für die Monate März und April 1933 sind deutschlandweit weitere Bücherverbrennungen nachweisbar, die so wie etwa in Kaiserslautern (25. März), Wuppertal (1. April) oder im brandenburgischen Luckenwalde (7. April) meist von der Hitlerjugend organisiert wurden.

Die zweite Phase (Mai 1933) bezeichnet hauptsächlich die Bücherverbrennungen der erwähnten Aktion „Wider den undeutschen Geist“, die vor allem durch den Film- und Tonmitschnitt vom Berliner Opernplatz am 10. Mai 1933 im kollektiven Gedächtnis präsent geblieben sind. Neben den studentischen Bücherverbrennungen in deutschen Hochschulstädten ist für den Mai 1933 noch eine weitere ortsübergreifende Bücherverbrennungsaktion nachweisbar, die begrenzt auf das damalige Reichland Bayern von der Hitlerjugend organisiert wurde. Unter dem Motto „Nie wieder Marxismus“ hatte der Bayerische HJ-Führer Emil Klein die ihm unterstehenden örtlichen Gliederungen dazu aufgerufen, rund um den 7. Mai 1933 vor Ort jeweils eine „großzügige Kundgebung“ abzuhalten und dabei „jeweils eine Bücher- und Schriftenverbrennung jeglichen marxistischen, pazifistischen und demokratischen Schrifttums“ durchzuführen. Sowohl der Aufruf zu diesen Kundgebungen der HJ in Bayern als auch die Bücherverbrennungen selbst sind im Zusammenhang mit der zeitgleich stattfindenden Aktion „Wider den undeutschen Geist“ zu sehen, auch wenn Emil Klein offenbar eilfertig versuchte, mit seiner Initiative dem zentral von der „Deutschen Studentenschaft“ vorgegebenen Termin am 10. Mai 1933 noch voraus zu kommen.

Die dritte Phase der Bücherverbrennungen in Deutschland schloss sich direkt an die Aktion „Wider den undeutschen Geist“ an und umfasst den Zeitraum von Ende Mai bis November 1933. Innerhalb dieser dritten Phase heben sich zwei eigenständige und ortsübergreifende Bücherverbrennungsaktionen von den übrigen Verbrennungsorten ab. Bei der ersten dieser Aktionen handelt es sich um Bücherverbrennungen, die unter dem Motto „Für Deutsche Geistigkeit und Kultur“ alle am 19. Mai 1933 auf Schulhöfen in der preußischen Rheinprovinz stattfanden. Angeordnet vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz Hermann von Lüninck und veranstaltet von der Hitlerjugend wurden die Schulleiter angewiesen, ihre Schüler vom Unterricht zu befreien, damit diese als „undeutsch“ und „zersetzend“ gebrandmarkte Bücher, die den Schülern durch die Lehrerkollegien aus den jeweiligen Schulbibliotheken auszuhändigen waren, bei einem Appell auf dem Schulhof verbrennen konnten.

Bei der zweiten ortsübergreifenden Aktion handelt es sich um die Bücherverbrennungen der „Kampfwoche gegen Schmutz und Schund“, die vom HJ-Führer Friedhelm Kemper auf dem Gebiet des Reichslandes Baden initiiert wurden. Die meisten dieser Bücherverbrennungen wurden zum Abschluss der „Kampfwoche“, die von „Säuberungen“ in Buchhandlungen und Büchereien geprägt war, am 17. Juni 1933, aber auch in den Tagen und Wochen danach durchgeführt. In die dritte Phase sind noch eine Reihe weiterer Bücherverbrennungen einzuordnen, die nach aktuellem Kenntnisstand keiner ortsübergreifenden Aktion zuzurechnen sind, sondern auf Initiativen entsprechender Akteure vor Ort zurückzuführen sind. Auffällig ist jedoch die häufig auftretende zeitliche Nähe zu den so genannten Sonnenwendfeiern um den 21. Juni 1933.

Anders als die eher spontan durchgeführten Bücherverbrennungen der ersten Phase, die als Begleiterscheinungen des verstärkten politischen Terrors im Nachgang der Reichstagswahlen von 5. März 1933 auftraten, verliefen die Bücherverbrennungen der zweiten und dritten Phase nach einem ähnlichen Ritual. Den Verbrennungen voraus ging meistens ein Fackelzug, in dem die Beteiligten Organisationen durch die zentralen Straßen des jeweiligen Ortes zum Verbrennungsplatz zogen. Dort angekommen wurden so genannte Feuerreden gehalten, wobei im Falle der studentischen Bücherverbrennungen Funktionäre des NS-Studentenbundes und Professoren als Redner auftraten. Dann erfolgte die Verbrennung der Bücher, die entweder unter Ausrufung von „Feuersprüchen“ in einen brennenden Holzstoß geworfen wurden oder selbst zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet und entzündet wurden. Vor dem brennenden Scheiterhaufen wurden dann weitere Reden gehalten und Lieder gesunden, wobei das „Horst-Wessel-Lied“, „Volk ans Gewehr“, „Flamme empor“, „Burschen heraus“ und die erste Strophe des „Deutschlandliedes“ am häufigsten gesungen wurden. In der regionalen und überregionalen Presse wurde dann in den Folgetagen meistens ausführlich über die jeweilige Bücherverbrennung berichtet.

Historischer Stellenwert der Bücherverbrennungen

Während die Aktion „Wider den undeutschen Geist“ seit Erscheinen der Studie von Gerhard Sauder 1983 relativ gut erforscht wurde, blieb lange Zeit unberücksichtigt, dass die NS-Bücherverbrennungen keine bloß temporär auf die Tage um den 10. Mai 1933 beschränkte und räumlich auf die Hochschulorte begrenzte Erscheinung waren. Inzwischen ist belegt, dass zwischen März und November 1933 auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches weit über 150 Bücherverbrennungen stattfanden. Dabei bildeten die studentischen Bücherverbrennungen im Rahmen der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ zwar einen Schwerpunkt, machen mit rund 30 Bücherverbrennungen jedoch nur einen Bruchteil des zu betrachtenden Gesamtphänomens aus.

Vielerorts waren die ‚Autodafés’ ein symbolischer Schlussstein derjenigen Maßnahmen und Ereignisse, mit denen in den Wochen und Monaten zuvor die neuen politischen Machtverhältnisse von der zentralstaatlichen- auf die kommunale Ebene übertragen wurden. Dabei ging es keineswegs nur um den symbolischen Gehalt der Verbrennungsakte. Dieser war nämlich stets mit einer materiellen Zerstörung und Vernichtung verbunden. Schließlich handelte es sich bei den betroffenen Büchern um öffentliches oder privates Eigentum. Hinzu kommt, dass der Begriff Bücherverbrennung in den meisten Fällen die tatsächlich durchgeführten Vernichtungsakte nur unzureichend beschreibt. Bei näherer Betrachtung der zahlreichen von den örtlichen Scheiterhaufen erhaltenen Fotografien fällt auf, dass die örtlichen Veranstalter ihre Scheiterhaufen oft mit großem Aufwand ausstaffierten. Neben Wahlplakaten, Schildern, Bildern, Schallplatten und Büsten sind oft Fahnen und Wimpel auf den Scheiterhaufen zu sehen. Schwarz-rot-goldene Fahnen, die drei Pfeile der SPD- und gewerkschaftsnahen „Eisernen Front“ und Symbole des „Roten-Frontkämpferbundes“ sind ebenso zu erkennen, wie Plakate, die sich durch die groß gedruckten Ziffern 2 oder 3 als Wahlkampfmaterial der SPD (Liste 2) beziehungsweise KPD (Liste 3) zu den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 zuordnen lassen.

Insbesondere die zusätzliche Verbrennung von Parteisymbolen zeigt, dass es sich bei den Bücherverbrennungen nicht nur um eine kulturpolitische Säuberungsaktion handelte. Die brennenden Scheiterhaufen waren vielmehr das Ergebnis der Zerschlagung des gesamten Spektrums der Opposition gegen den sich stabilisierenden NS-Staat in Kultur, Wissenschaft und Politik. Auf diese Weise stehen die Bücherverbrennungen 1933 historisch gesehen nicht nur für sich selbst. Sie markieren vielmehr das komplexe Wirkungsgefüge zwischen den deutschlandweiten und regionalen Aspekten des NS-Machtdurchsetzungsprozesses im Zeitumbruch des Jahres 1933 und machen vor Ort die Dynamik der Ereignisse, die den Bücherverbrennungen vorausgingen, sichtbar.